Wissenschaftler aus Rotenburg forschen über die Folgen des COVID-19 Lock-Down für Menschen mit Behinderungen

25. Oktober 2023

Für eine umfangreiche Forschungsarbeit über die Folgen der Lock-Down Maßnahmen während der COVID-19-Pandemie haben Mitarbeiter:innen des Medizinischen Zentrums für Erwachsene mit Behinderungen (MZEB) am Agaplesion Diakonieklinikum Rotenburg Daten von 848 Menschen mit Behinderung zusammengetragen. Die Forschergruppe um den Rotenburger Epileptologen und Behinderten-Experten, Dr. med. Frank Bösebeck, hatte über eine Online-Befragung in 71 Wohngruppen aus Bremen und Niedersachsen untersucht, welche Auswirkungen die Corona-Pandemie und die gesetzlichen Regularien auf das Wohlbefinden sowie die medizinische und psychische Verfassung der Bewohner:innen gehabt haben. Die Ergebnisse dieser Studie wurden jetzt im international renommierten „Journal of Intellectual Disabilities – JOID“ veröffentlicht. 

Die Forschungsergebnisse sind deutlich: Zusammenfassend wurden bei 41 Prozent der Betroffenen Verschlechterungen ihres Gesamtbefindens im Kontext der Corona-Pandemie angegeben. Am stärksten betroffen waren die Bereiche Stimmung, alltagsstrukturierende Kompetenzen, soziale Interaktion und geistige Leistungsfähigkeiten. Aber auch körperlich waren negative Folgen des Lock-Down festzustellen. Beispielsweise fanden sich erhebliche Verschlechterungen der motorischen Koordination und Beweglichkeit, oft einhergehend mit einer Verstärkung vorbestehender Lähmungen. Dies kann für Betroffene mit bereits vorbestehenden Einschränkungen langfristig desaströse Folgen für die individuelle Mobilität haben. 

Diese unmittelbar auf die Lock-Down-Maßnahmen zurückzuführenden Folgen beschränken sich nicht nur auf die individuellen Verschlechterungen eines:einer jeden Betroffenen. Sie haben ebenso negative Konsequenzen für die Qualität der mittlerweile hochdifferenzierten pädagogischen und medizinisch-therapeutischen Betreuungsleistungen, sowie – nicht zuletzt – auf das alltägliche Miteinander. Das wiederum löst einen quantitativ wie qualitativ erhöhten Betreuungs- und Unterstützungsbedarf aus. Unter anderem darum beschreiben 49 Prozent der Antwortenden, dass sich die Stimmung der Betroffenen verschlechtert hätte. „Das ist keineswegs banal, weiß jeder, der mit Menschen mit geistiger und Mehrfachbehinderungen zu tun hat“, erläutert Bösebeck, „denn dadurch schränken sich die Ausdrucksmöglichkeiten massiv ein und der Unterstützungsbedarf steigt unmittelbar.“

„Jede einzelne Schutzmaßnahme für Menschen mit Behinderungen für sich betrachtet war vermutlich sinnvoll, die Summe der Maßnahmen jedoch wirkte sich medizinisch zum Teil drastisch negativ auf die Betroffenen aus“, zieht Bösebeck Resümee. Sein Fazit: „Durch die einzelnen Entscheidungen wurde faktisch weite Teile des hochdifferenzierten Unterstützungssystems für Behinderte zum Erliegen gebracht. Das glich einem ‚Wegsperren‘ mit erheblichen negativen medizinischen, sozialen und psychischen Effekte für die Betroffenen.“ 

Die Studie und ihre Ergebnisse haben sowohl retrospektive als auch prospektive Funktion: „Die Integration von Menschen mit Behinderungen in unserer Gesellschaft ist ein komplexes Unterfangen, dessen Gelingen unmittelbar von der Kooperation und der Teilhabe aller Beteiligten abhängt. Wir als diakonische Einrichtung verstehen das als identitätsstiftenden Auftrag, uns besonders in Krisenzeiten für vulnerable Menschen zu engagieren und mit ihnen in der Mitte der Gesellschaft Bedingungen und Exempel integrativer Kultur voranzubringen“, ordnet Bösebeck diese Arbeit ein und ergänzt: „Wissenschaftliche Forschung gibt es in diesem Feld nur sehr begrenzt. Umso dankbarer sind wir sowohl den Betroffenen als auch den Einrichtungen für ihre Unterstützung. Mit diesen Ergebnissen können wir darum gut in den politischen und gesellschaftlichen Diskurs gehen, wie wir Integration und Teilhabe erfolgreich voranbringen.“ 

Neben Bösebeck gehörten zum Forscherteam Prof. Dr. med. Carsten Konrad, Chefarzt im Zentrum für Psychosoziale Medizin am Agaplesion Diakonieklinikum Rotenburg gGmbH, Hans Worthmann, ehemaliger Leiter des Psychologischen Dienstes in den Rotenburger Werken der Inneren Mission gGmbH, sowie Claudia Möller, Leiterin des Innovationsmanagements bei der Agaplesion gAG in Frankfurt.

Die Studie ist weltweit eine der quantitativ größten wissenschaftlichen Arbeiten in diesem Feld und wurde maßgeblich vom MZEB Rotenburg vorangetrieben. MZEBs, also „Medizinische Zentren für Erwachsene mit Behinderungen“, bieten bundesweit eine regelhafte ambulante und interdisziplinäre medizinische Versorgungs- und Behandlungsstruktur für Menschen mit Behinderungen. In direkter Nachbarschaft zu den Rotenburger Werken der Inneren Mission, einer der größten Träger für Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen in Norddeutschland, und in guter Vernetzung zu Partner:innen in Bremen, Niedersachsen und Hamburg bot es sich an, diese Studie in Rotenburg am Agaplesion Diakonieklinikum Rotenburg gGmbH durchzuführen. Dabei stellte der Agaplesion Konzern gAG maßgeblich elektronische Erhebungs- und Auswertungstools des Datenmaterials. 

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Das AGAPLESION DIAKONIEKLINIKUM ROTENBURG gemeinnützige GmbH ist das größte konfessionelle Krankenhaus in Niedersachsen und akademisches Lehrkrankenhaus der Medizinischen Fakultät der Universität Hamburg. Als Maximalversorger mit rund 215.000 Patientenkontakten im Jahr bietet es nahezu das gesamte Spektrum moderner Krankenhausmedizin. Die fortschrittliche Hochleistungsmedizin und die professionelle Pflege mit ihren christlichen Wurzeln zeichnen das Haus aus. Das Diakonieklinikum ist zertifiziertes „Überregionales Traumazentrum“ zur Behandlung von Schwerverletzten, zertifiziertes Endoprothetik- und Gefäßzentrum sowie Epilepsiezentrum und Medizinisches Zentrum für Erwachsene mit Behinderung. Einen besonderen Schwerpunkt bildet die Onkologie. Das Brustkrebszentrum sowie das Viszeralonkologische Zentrum mit der Ausrichtung Darmkrebszentrum und Magenkrebszentrum sind von der Deutschen Krebsgesellschaft zertifiziert. Die Chest Pain Unit ist von der deutschen Gesellschaft für Kardiologie zertifizierter Bestandteil der Klinik für Kardiologie. Zum Diakonieklinikum gehören außerdem Ausbildungsstätten, ein Reha-Zentrum und verschiedene Dienstleistungsbetriebe. Insgesamt arbeiten hier rund 2.500 Menschen. Eine Vielzahl sozialer Projekte charakterisieren das Diakonieklinikum ebenfalls: Klinikclowns, die Versorgung von Kindern aus Kriegs- und Krisengebieten und der Sozialfonds.

Seit 2012 hält die AGAPLESION gemeinnützige Aktiengesellschaft mit 60 Prozent die Mehrheit der Gesellschafteranteile; der Ev.-luth. Diakonissen-Mutterhaus Rotenburg e.V. hält 40 Prozent.

Die AGAPLESION gemeinnützige Aktiengesellschaft wurde 2002 in Frankfurt am Main von christlichen Unternehmen gegründet, um vorwiegend christliche Gesundheitseinrichtungen in einer anspruchsvollen Wirtschafts- und Wettbewerbssituation zu stärken.

Zu AGAPLESION gehören bundesweit mehr als 100 Einrichtungen, darunter 22 Krankenhausstandorte mit 6.443 Betten, 39 Wohn- und Pflegeeinrichtungen mit 3.524 Pflegeplätzen, fünf Hospize, 34 Medizinische Versorgungszentren, sieben Ambulante Pflegedienste und eine Fortbildungsakademie. Darüber hinaus bildet AGAPLESION an 15 Standorten im Bereich Gesundheits- und Krankenpflege aus. 22.000 Mitarbeiter:innen sorgen für eine patient:innenorientierte Medizin und Pflege nach anerkannten Qualitätsstandards. Pro Jahr werden mehr als eine Million Patient:innen versorgt. Die Umsatzerlöse aller Einrichtungen inklusive der Beteiligungen betragen 1,8 Milliarden Euro. Die alleinigen Aktionäre der AGAPLESION gAG sind verschiedene traditionsreiche Diakoniewerke und Kirchen. Auch durch diese Aktionäre ist die AGAPLESION gAG fest in der Diakonie verwurzelt und setzt das Wohl ihrer Patient:innen, Bewohner:innen und Mitarbeiter:innen als Maßstab für ihr Handeln.

Weitere Informationen finden Sie im Internet unter www.agaplesion.de.


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AGAPLESION DIAKONIEKLINIKUM ROTENBURG gemeinnützige GmbH
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presse@diako-online.de, www.diako-online.de 

 Bildunterschrift: Dr. med. Frank Bösebeck, Abteilungsleiter Epileptologie und MZEB am Diakonieklinikum, forschte mit einem Team zu den Auswirkungen der Lock-Down Maßnahmen während der COVID-19-Pandemie auf Menschen mit Behinderung.

Bildunterschrift: Dr. med. Frank Bösebeck, Abteilungsleiter Epileptologie und MZEB am Diakonieklinikum, forschte mit einem Team zu den Auswirkungen der Lock-Down Maßnahmen während der COVID-19-Pandemie auf Menschen mit Behinderung.