Schmerzfrei in die Zukunft gehen – arthrosebedingte Gelenkbeschwerden betreffen auch Jüngere

26. November 2021

Millionen Menschen leiden in Deutschland an arthrosebedingten Gelenkbeschwerden. Zu ihnen zählen nicht nur Ältere und Hochbetagte, sondern auch zunehmend jüngere Menschen. Der Knorpelverschleiß führt zu einer zunehmenden Einsteifung und Verformung der Gelenke. Im Lauf der fortschreitenden Erkrankung treten Anlauf- und Belastungs-, später Nacht- und Ruheschmerzen auf. Diese führen zu einer massiven Einschränkung der Lebensqualität. Sind die Beschwerden langanhaltend stark, besteht für die Betroffenen meist nur noch die Möglichkeit eines künstlichen Gelenkersatzes, der sogenannten Endoprothetik.
 
Welche Formen des Gelenkersatzes bei welchem Krankheitsbild Schmerzlinderung schaffen, berichtet Experte Dr. med. Ferdinand Petrat, Leiter des EndoProthetikZentrums am AGAPLESION DIAKONIEKLINIKUM ROTENBURG. Hilfreiche Tipps gibt Physiotherapeutin Andrea Hagel zum Thema „Richtiger Umgang im Alltag mit dem neuen Gelenk“.

 

Wann sollten Betroffene einen Gelenkersatz in Erwägung ziehen? 
Gibt es ggf. Warnsignale, die ernst genommen werden müssen?

Dr. med. Ferdinand Petrat: Ein Gelenkersatz kommt in aller Regel nur in Betracht, wenn Beschwerden oder Einschränkungen, die durch eine Gelenkschädigung verursacht sind, durch konservative und gelenkerhaltende Maßnahmen nicht mehr zu bessern sind. Meist ist eine längere Zeit vergangen vom Beginn der Beschwerden und einer so fortgeschrittenen Beschädigung eines Gelenks. Deshalb ist der Gelenkersatz meist die beste Möglichkeit, die Beschwerden zu beheben und so die Lebensqualität zurückzugewinnen. 
Nur wenige Erkrankungen führen zu einer dramatisch raschen Zerstörung eines Gelenks oder des angrenzenden Knochens. Ein Beispiel wäre neben Tumoren oder Verletzungen, wie ein verschobener Oberschenkelhalsbruch des älteren Menschen, eine eitrige Gelenkentzündung. Das geht im Allgemeinen einher mit heftigen Schmerzen, einer Schonhaltung im Gelenk, Fieber und einem deutlichen Krankheitsgefühl. Diese Notsituation erfordert ein rasches Handeln, um die Chance zu erhöhen, das betreffende Gelenk vielleicht noch zu retten und die Infektion auszuheilen. 
Häufiger ist ein meist langsamer Verlauf mit Beginn von Bewegungseinschränkungen und Schmerzen. Ursachen können Gelenkverschleiß (Arthrose), angeborene oder erworbene Fehlstellungen, rheumatische Erkrankungen sein. Bei der Arthrose – typischerweise an der Hüfte oder dem Kniegelenk – ist ein Anlaufschmerz ein häufiges Symptom. Die ersten Schritte nach einer Ruhephase tun weh. Wenn man sich eingelaufen hat, verschwinden die Beschwerden und kommen erst nach längerer stärkerer Belastung wieder. Diese Anzeichen sollte man zum Anlass nehmen, sich untersuchen zulassen, um möglichst ohne Operation oder mit gelenkerhaltenden Eingriffen den Krankheitsverlauf zu stoppen und so das betroffene Gelenk möglichst lange zu erhalten. 

Medikamentöse Möglichkeiten sind eher begrenzt, es sei denn ein Rheuma oder Stoffwechselerkrankungen (z. B. Gicht) liegen den Gelenkbeschwerden zugrunde und können effektiv behandelt werden. Ansonsten dient die medikamentöse Therapie eher einer symptomatischen vorübergehenden Beschwerdelinderung.
Gelenkerhaltende Operationen, wenn ein Gelenk noch nicht zu sehr geschädigt ist, stellen ein sehr breites Spektrum dar. Arthroskopische Eingriffe, Korrekturen von Fehlstellungen, Eingriffe am Knorpel, an den Sehnen oder der Kapsel sind vom bestehenden Schaden und dem betroffenen Gelenk abhängig. Um diese Möglichkeiten und ihre Erfolgsaussichten abzuschätzen, bedarf es immer einer individuellen Beratung und meist auch einer erweiterten Diagnostik.
Mit dem Gedanken an einen Gelenkersatz sollte man sich ernsthaft beschäftigen, wenn die Beschwerden so ausgeprägt sind, dass sie die Teilnahme am Leben so einschränken, dass man sich eine Erlösung davon herbeisehnt und die Möglichkeiten der gelenkerhaltenden Behandlung erschöpft oder nicht mehr sinnvoll sind. Dann ist ein Gelenkersatz eine sehr erfolgreiche, langfristige, hilfreiche Möglichkeit. 
 

Ganz allgemein: Gibt es generell vorbeugende Maßnahmen, um eine Arthrose zu lindern oder gar aufzuhalten?

Andrea Hagel: Eine Arthrose ist nicht heilbar. Eine Behandlung zielt darauf ab, ein Fortschreiten zu verhindern und die Beschwerden des:der Patient:innen zu lindern. Zunächst gibt es zahlreiche konservative Therapieverfahren. So zum Beispiel die manuelle Therapie zur Behandlung im Bereich Gelenk, Muskel und Nerv sowie die medizinische Trainingstherapie, die zur Muskelkräftigung und Mobilisierung des Gelenkes führt. Darüber hinaus gibt es zahlreiche physikalische Behandlungsmöglichkeiten, wie zum Beispiel Elektrotherapie, Kälteanwendungen bei akuten Schmerz- und Reizzuständen, sowie Wärmeanwendungen zur Steigerung der Durchblutung und Muskelentspannung.
Eine Überbelastung der betroffenen Gelenke sollte vermieden werden, und auch monotone Bewegungsmuster schaden den Gelenken. 
In Abhängigkeit davon, welches Gelenk betroffen ist, können zum Beispiel spezielle Schuhanpassungen Linderung bringen.
Des Weiteren gilt es Übergewicht zu vermeiden.
Trotz Beschwerden sollten Arthrosepatient:innen das betroffene Gelenk nicht schonen, sondern regelmäßig benutzen. Das hilft, die Beweglichkeit zu erhalten.


Welcher Gelenkersatz findet als Ersatz des Hüftgelenks seine Anwendung und warum?

Petrat: Das eigentliche Hüftgelenk besteht im Kern aus dem Hüftkopf und der Gelenkpfanne. 
Nur bei dem Schenkelhalsbruch eines:einer hochbetagten Patient:in oder bei bestimmten Tumorsituationen wird nur der Hüftkopfteil ersetzt (eine sogenannte Duokopfprothese), um die Operation zu begrenzen bei ausreichendem Stabilitäts- und Funktionsgewinn. 
In allen anderen Situationen werden beide Gelenkanteile durch die Prothesenteile ersetzt. 
Die verwendeten Prothesen unterscheiden sich zunächst grundsätzlich in der Verankerungstechnik.
Am häufigsten wird in Deutschland eine zementfreie Verankerung genutzt. Dabei wird der Knochen, der die Prothese trägt, so präpariert, dass eine Prothese passender Größe formschlüssig eingesetzt werden kann, sodass sie sich anfangs stabil verklemmt und später im Knochen fest einwächst. Voraussetzung ist ein entsprechend stabiler Knochen. Dann bietet diese Technik die Möglichkeit auch Prothesen zu verwenden, die weniger Knochenresektion erfordern (sogenannte Kurzschaftprothesen), damit bei jüngeren Patient:innen im Fall eines später erforderlichen Austauschs der Prothese noch mehr Knochen zur Verankerung der neuen zur Verfügung steht. Dieses Prinzip weiter zu minimieren, ist lange mit sogenannten Kappen- oder Druckscheibenprothesen versucht worden. Inzwischen ist dieses wegen gehäuften Komplikationen fast vollständig verlassen worden.
Wenn eine zementfreie Verankerung nicht mehr möglich ist oder keine sofort belastungsfähige Situation schafft, wird eine Verankerung mit Knochenzement (zementierte Prothese) genutzt. Dabei wird der vorbereitete Knochen zur Aufnahme der Prothese mit dem noch weichen Zement aufgefüllt und die Prothese darin verankert. In zehn Minuten erreicht der Zement seine vollständige Festigkeit und fixiert die Prothese dauerhaft.
Für beide grundsätzlichen Prothesentypen stehen von verschiedenen Herstellern unzählige Modellvarianten zur Verfügung. Die Unterschiede sind bei bewährten Prothesentypen nur gering. 

Neben der natürlich erforderlichen Prüfung und Zulassung der Typen ist für mich wichtig, dass diese die ursprüngliche Anatomie des Gelenks wiederherstellen können, somit in entsprechenden Größen und Formen verfügbar sind und sich im Langzeitverlauf bewährt haben. Entsprechende Prothesentypen werden in Rotenburg verwendet. 
Den Unterschied im Erfolg und in der Rehabilitation macht neben der exakten Positionierung und Einpassung der Prothese wesentlich die schonende Operationstechnik aus. Dazu benutzen wir seit Langem einen Zugangsweg zum Hüftgelenk, der minimalinvasiv eine Muskellücke nutzt, um zum Hüftgelenk zu gelangen, und somit wenig Beschwerden oder Funktionseinschränkung schon kurz nach der Operation macht. 

  
Was sind die wichtigsten Verhaltensregeln für den Alltag direkt nach einer Operation der Hüfte?

Hagel: Für zwölf Wochen nach der Implantation einer Hüftprothese gelten folgende Vorsichtsmaßnahmen, um die Gefahr des „Herausspringens“ (der Luxation) zu verhindern.
Die betroffene Hüfte nicht über 90 Grad beugen, das operierte Bein nicht über die Körpermitte bringen, also kein Übereinanderschlagen der Beine, und vor allem ein striktes Vermeiden der Kombination beugen und drehen der Hüfte nach innen oder außen. Grundsätzlich ist eine übertriebene Angst vor einer Luxation genauso wenig angebracht wie eine völlige Ignoranz.
Bei zunehmendem Trainingszustand der hüftgelenkumgreifenden Muskulatur nimmt die Gefahr einer Luxation stetig ab.
Auch Sport kann man mit einer Hüftprothese treiben, Operierte sollen sogar aktiv sein. Günstig sind gelenkschonende Sportarten wie Schwimmen, Radfahren, Nordic Walking und Wandern.
Wer in einer anderen Sportart geübt ist, kann diese auch ohne Probleme mit entsprechendem Training fortführen, so zum Beispiel Tennis, Ski und Golf. Von Kontaktsportarten ist abzuraten.
Für jede:n Patient:in gilt, das Trainingspensum langsam und behutsam steigern.
Ab etwa einem Vierteljahr nach OP sind Luxationen äußerst selten und zumeist auf Stürze oder andere Unfälle zurückzuführen.
 

Welche Endoprothesen werden als Ersatz des Kniegelenks verwendet und welche Vorteile bieten die verschiedenen Modelle?
 
Petrat: Vereinfacht dargestellt besteht das Kniegelenk knöchern aus einem Oberschenkelanteil, einem Unterschenkelanteil und der Kniescheibe. Das Gelenk teilt sich in einen inneren, einen äußeren Gelenkabschnitt und ein Gelenk zwischen Kniescheibe und Oberschenkelgelenkfläche. Es wird durch Bänder geführt und stabilisiert.
Abhängig von dem betroffenen Gelenkanteil, der Fehlstellung (O- oder X-Bein), der Intaktheit der Bänder kommen verschieden Prothesenmodelle zur Anwendung. 
Als Verankerungstechnik hat sich die zementierte Technik bewährt, so dass sie fast ausschließlich verwendet wird. Erst bei Prothesentypen, die zur Verankerung auch den angrenzenden Schaft von Ober- und Unterschenkel benötigen, wird alternativ auch die zementfreie Fixierung gewählt.
Wenn nur ein Gelenkabschnitt betroffen ist, die Bänder ausreichend stabil sind und die Fehlstellung nicht zu groß ist, kann mit einer sogenannten Schlittenprothese nur dieser Gelenkabschnitt ersetzt werden. Das erhält die nahezu normale Beweglichkeit des Knies, begrenzt die Operation und verkürzt die Rehabilitation.
Bei mehreren betroffenen Gelenkabschnitten wird eine Oberflächenersatzprothese verwendet. Diese ersetzt die Gelenkfläche von Ober- und Unterschenkel vollständig, selten auch die der Kniescheibe. Dieser Typ erhält aber das Führen des Knies durch die noch ausreichend stabilen Bänder.
Bei ganz ausgedehnter Zerstörung, extremer Fehlstellung oder instabilen Bändern wird eine teil- oder vollständig gekoppelte Prothese verwendete, die auch die Führung der Gelenkanteile mit gewährleistet.
Auch für das Knie gibt es eine Unzahl von Prothesentypen und Anbietern. Für mich gilt das auch schon für die Hüftprothese Gesagte für die Auswahl. 
Das Material der Prothese stellt eine besondere Herausforderung dar. Um eine möglichst glatte, harte Gelenkoberfläche, die möglichst keinem Verschleiß unterliegt, zu erreichen, wird deshalb bei uns in Diakonieklinikum eine titannitrid-beschichtete Version verwendet, die entsprechende Materialeigenschaften hat. Noch wichtiger als an der Hüfte ist beim Knie die exakte Positionierung der Prothese. Um das sicher zu stellen, wird in Rotenburg für die Implantation ein optisches Navigationssystem verwendet, das dem Operateur während der Operation millimeter- und gradgenau anzeigt, wie die Präparationsschritte gemacht sind, die Prothese positioniert ist und die Bandführung ausgeglichen bleibt. Das ist nach meiner Auffassung aktuell die sinnvollste Möglichkeit die Ergebnisqualität zu sichern. 


Was ist nach einer Knieoperation unbedingt zu beachten?

Hagel: Nach der Operation ist eine Rehabilitation wichtig. Es dauert, bis das Knie gut beweglich und die Schwellung abgeklungen ist. Insbesondere der muskuläre Aufbau bedarf einiger Zeit, um dem Gelenkersatz vollständigen Halt zu geben.
Ziel ist die Einbettung des neuen Knies in ein muskuläres Korsett.
Nach der Operation gilt es, längeres Hocken, Knien und Stoßbelastungen in den ersten drei Monaten nach OP zu unterlassen.
Ein Muss ist die Benutzung eines Knieschoners oder einer festen Schaumstoffunterlage, um die ohnehin schon hohe Druckbelastung beim Knien zu verringern.
Benutzen Sie bei Haus-und Gartenarbeiten möglichst viele Hilfsmittel mit langem Stiel, um so wenig wie möglich im Knien und Hocken zu arbeiten.
Gerade in der ersten Zeit nach der Operation besteht noch eine Gangunsicherheit. Deshalb ist es besonders wichtig, dass Sie Ihr Lebensumfeld schon vor der Operation bewusst auf mögliche Fehlerquellen untersuchen und diese soweit wie möglich beseitigen.
Dazu gehören: mögliche Stolper-und Sturzursachen, wie z. B. das Wegräumen von losen Teppichen und Brücken sowie das Auslegen rutschfester Matten in der Dusche.
 
Der Satz den ich nach der Implantation, egal ob Knie oder Hüfte, am häufigsten höre: „Hätte ich das mal schon viel früher gemacht!“

Andrea Hagel, Physiotherapeutin im Rehazentrum

Dr. med. Ferdinand Petrat, Leitender Oberarzt der Unfallchirurgie und Orthopädie, Leiter und Hauptoperateur des EndoProthetikZentrums

Schmerzfrei in die Zukunft gehen

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Weitere Informationen finden Sie auf der Seite des EndoProthetikZentrums Rotenburg.